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Von Simon Jacoby

Co-Geschäftsleitung & Chefredaktor

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23. August 2022 um 04:00

Reiche Familien profitieren am meisten von der Tagesschule

Finanziell profitieren alle Familien von der Einführung der Tagesschule. Brisant ist: Reiche Familien sparen am meisten Geld – besonders bei der Gemeinderatsvariante.

Das Schulhaus Schütze im Kreis 5, das seit 2019 eine Tagesschule ist. (Foto: Rahel Bains)

Geht es nach dem Willen des Stadtrates, muss eine Familie für den Zmittag in der Tagesschule neun Franken bezahlen. Setzt sich hingegen die Gemeinderatsversion durch, reduziert sich der Preis auf sechs Franken. Es gibt noch einen zweiten wichtigen Unterschied zwischen den beiden Vorlagen: In finanziellen Härtefällen sieht der Gemeinderat eine Senkung des Tarifs auf null Franken vor, der Stadtrat auf 4,5 Franken. Am 25. September entscheidet das Zürcher Stimmvolk. 

«Das Ziel der Tagesschule ist, den Kindern aller Familien die Teilnahme zu ermöglichen und damit die Durchmischung zu fördern», teilt das Schulamt auf Anfrage mit. Daher gelte «grundsätzlich und für alle der Einheitstarif».

Wer trotzdem Anspruch auf eine Vergünstigung des Einheitstarifs hat, ist in der «Verordnung über die familienergänzende Kinderbetreuung in der Stadt Zürich» geregelt, welche auch dem Beitragsrechner auf der Webseite der Stadt als Basis dient. 

Wer viel verdient, profitiert am meisten

Bei welchem Einkommen die Grenze zwischen dem Einheits- und dem Minimaltarif liegt, kann nicht pauschal gesagt werden. Der massgebende «Beitragsfaktor» setzt sich zusammen aus Vermögen, Lohn, Anzahl Elternteile und Kinder. Darum helfen zwei fiktive Konstellationen für exemplarische Beispiele: 

Familie 1 besteht aus einem Elternteil und einem Kind. Die erwachsene Person arbeitet 80 Prozent und hat 4 Wochen Ferien pro Jahr. Das Kind muss also an vier Tagen während 48 Wochen vom Morgen bis zum Abend betreut werden. Weil das Elternteil schlecht verdient, gilt für das bisherige System mit Hort der Minimaltarif. Die jährlichen Kosten belaufen sich auf 1646 Franken. 

Neu sähe es so aus: Weil die Tagesschule bereits spätestens um 16 Uhr fertig ist, müsste das Kind nach Schulschluss noch zwei Stunden in den Hort. Setzt sich der Stadtrat durch, belaufen sich die jährlichen Kosten mit Tagesschule und Hort auf 1334 Franken. Setzt sich der Gemeinderat durch, wird die Tagesschule in diesem Härtefall kostenlos und nur der Hort muss bezahlt werden. Jährliche Kosten: 632 Franken. 

Das heisst: Eine alleinerziehende Person mit einem Kind und dem Minimaltarif kann rund 300 oder 700 Franken pro Jahr sparen. Das maximale steuerbare Einkommen in dieser Familienkonstellation, welche zum Minimaltarif für den Hort berechtigt, liegt bei 18’000 Franken pro Jahr. Die Grenze zwischen dem Einheitstarif und dem reduzierten Beitrag für die Tagesschule liegt jährlich bei rund 23’000 Franken. 

Familie 2 besteht ebenfalls aus einem Elternteil und einem Kind und benötigt 4 Tage Betreuung während 48 Wochen pro Jahr, hat aber ein deutlich höheres Einkommen und zahlte darum bisher im Hort den Maximaltarif. Kostenpunkt pro Jahr: 17’748 Franken. 

Das Tagesschulsystem kommt in diesem Fall deutlich günstiger. Ergänzt mit täglich zwei Stunden Hort am Nachmittag plus Ferienbetreuung zahlt Familie 2 noch 7416 Franken im Gemeinderatsmodell und 7884 Franken, wenn sich der Stadtrat durchsetzt. 

Diese fiktive Familienkonstellation zahlt mit einem jährlichen steuerbaren Einkommen von 118’000 Franken die höchsten Kosten, bei diesem Betrag liegt in diesem spezifischen Fall die Grenze für den maximalen Beitrag an die Hortbetreuung. 

Das Einsparpotenzial liegt damit bei mehr als 10’000 Franken pro Jahr. Brisant: Bei der Vorlage des Gemeinderates, wo sich die linken Parteien durchgesetzt haben, profitieren hohe Einkommen am meisten.

Eltern könnten mehr arbeiten und verdienen

Subventioniert damit die linke Mehrheit im Parlament hauptsächlich die reichen Familien?  Die SP argumentiert auf Anfrage, dass «die hohen Einkommen und Vermögen auch einen grösseren Beitrag an die Tagesschule leisten», weil diese durch Steuern finanziert wird. Entlastet würde ausserdem vor allem der Mittelstand, «der die hohen Mieten und Krankenkassenprämien zu spüren bekommt». 

Die GLP schreibt, «alle kommen in den Genuss einer Verbilligung» und die FDP betont, es handle sich um ein sehr günstiges Angebot. Bei finanziellen Härtefällen sei «weiterhin ein Erlass der Kosten auf entsprechendes Gesuch» möglich. 

Und vom Schulamt heisst es, mit der Entlastung auch der oberen Einkommen wolle man die Durchmischung fördern. Dank der Tagesschule könnten die Eltern zudem mehr arbeiten, was wiederum höhere Steuereinnahmen generiere.

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